Auch von ExpertInnen in Führungspositionen wird verlangt, dass sie Mitarbeitergespräche führen. An vielen Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen, Spitälern und Beratungsunternehmen wird das aber nur sehr widerwillig gemacht. Die Ablehnung wird zum Beispiel mit Worten wie diesen ausgedrückt: „Warum soll ich meine KollegInnen maßregeln? Die wissen selber, was sie tun?“
Es gibt viele Einwände gegen das einmal im Jahr stattfindende Gespräch:
- Es gibt ohnehin genug Kommunikation.
- Für solche Gespräche gibt es keine Zeit.
- Die ExpertInnen sind motiviert und wollen sich ohnehin weiterentwickeln.
- Das Ausfüllen von Formularen ist ein unnötiger bürokratischer Aufwand.
- Solche Gespräche bringen gar nichts.
Ein Mitarbeitergespräch ist keine Zeugnisverteilung
Viele Führungskräfte meinen, der Zweck des Mitarbeitergesprächs liegt in der Beurteilung der Leistung des vergangenen Jahres durch die Führungskraft. Bei diesem Verständnis macht ein Mitarbeitergespräch in einer Expertenorganisation tatsächlich nicht viel Sinn. Führungskräfte in Expertenorganisationen können die Arbeit ihrer MitarbeiterInnen wegen der hohen Spezialisierung oft gar nicht so gut bewerten. Und selbst wenn sie das können, lassen MitarbeiterInnen eine Bewertung nicht zu, weil sie das als Einmischung in ihre professionelle Freiheit erleben.
Wenn Leitfäden zu Leidfäden werden
Alexandra ist Abteilungsleiterin an einer Forschungseinrichtung. Sie blickt auf den Leitfaden zum Mitarbeitergespräch ihrer Organisation. Sie ist verzweifelt: „Das passt doch überhaupt nicht auf unsere Arbeit: Zielerreichungsgrad, Entwicklungsfelder, Unterstützungsmaßnahmen etc. Meine wissenschaftlichen MitarbeiterInnen erwarten keine Fördermaßnahmen von mir.“
In vielen Organisationen werden Leitfäden für alle MitarbeiterInnen erstellt, für Expertinnen und Nicht-ExpertInnen. Die ExpertInnen erleben es besonders frustrierend, Felder auszufüllen, die nicht zu ihrem Selbstverständnis passen. Meine Empfehlung: Verwenden Sie diese Leitfäden als Basis, aber setzen Sie im Gespräch die Schwerpunkte so, wie es der aktuellen Situation und Ihrer Zusammenarbeit entspricht.
Aufwärmen der Vergangenheit bringt für die Zukunft wenig
In vielen Mitarbeitergesprächen wird lange – oder sogar ausschließlich – über das vergangene Jahr gesprochen. Die Meinungen der beiden Gesprächspartner sind unterschiedlich und es entspinnt sich ein Streitgespräch darüber, ob die Ziele nun erreicht wurden oder nicht.
Meine Empfehlung: Der Rückblick auf das letzte Jahr kann als Basis für das weitere Gespräch über die Zukunft hilfreich sein, aber es sollte keinesfalls den Großteil der Gesprächszeit einnehmen. Mitarbeitergespräche haben den Zweck, die Zusammenarbeit künftig zu verbessern. Worüber sollten Sie daher sprechen?
Was hilft uns beiden?
Der größte Nutzen entsteht, wenn beide ihre Erwartungen an die andere Person ausdrücken. Die Zusammenarbeit unter ExpertInnen ist sehr vielfältig: fachlicher Austausch, methodische Kooperation, Zusammenarbeit in Projekten, Information über Veränderungen in der Organisation, Lernen voneinander, gemeinsame Führungsaufgaben, strategische Entscheidungen, Controlling etc. Wer braucht was wann von wem? Das sollte der Kern des Mitarbeitergesprächs unter ExpertInnen sein. Das bedeutet nicht, dass die Unterscheidung zwischen Führungskraft und MitarbeiterInnen verschwinden. Nein, ganz und gar nicht. Nur ist in Expertenorganisationen die wechselseitige Abhängigkeit von Führungskraft und MitarbeiterInnen besonders groß. Das sollte seinen Ausdruck im Gespräch finden.
Mögliche positive Nebenwirkungen
Geklärte Erwartungen sind wie ein umgestochenes, gerechtes und gedüngtes Gemüsebeet im Frühjahr. Hier kann Neues wachsen. Natürlich kann man auch auf das Unkraut vom Vorjahr Salatpflanzen setzen, aber sie werden sich nicht so gut entwickeln. Gut geführte Mitarbeitergespräche verringern die Wahrscheinlichkeit von Konflikten, störender Konkurrenz, Frustration und schlechter Stimmung.
Wer den Nutzen erkennt, wird die Zeit finden
Niemand wendet gerne Zeit für etwas auf, dass sinnlos scheint. Expertinnen schon gar nicht. Sobald klar ist, dass das Mitarbeitergespräch keine bürokratische Schikane, sondern ein für beide Seiten hilfreiches Führungsinstrument ist, werden alle gerne die ein bis zwei Stunden dafür aufwenden. Falls beide Gesprächspartner gut vorbereitet ins Gespräch kommen, kann auch ein kurzes Gespräch sehr fruchtbar sein.
Ich empfehle Ihnen daher für die Praxis:
- Erklären Sie das Ziel und den möglichen Nutzen der Gespräche.
- Bereiten Sie Ihre Erwartungen an die andere Person vor.
- Gestalten Sie im Gespräch Ihre gemeinsame Zukunft.
- Führen Sie die Gespräche nicht nach Schema F, sondern sehr individuell.
- Sprechen Sie nicht erst nach einem Jahr wieder über Ihre wechselseitigen Erwartungen, sondern nach zwei oder drei Monaten.