Wie Sie als Führungskraft Mitarbeitervertrauen gewinnen und aufbauen können
Silvia ist verzweifelt. Ihre MitarbeiterInnen verschweigen Krisen und Konflikte im Team. Wenn sie Probleme haben, fragen Sie Silvias Chef um Hilfe, wenn sie unzufrieden sind, beklagen sie sich bei anderen Führungskräften. Silvia hat aus ihrer Sicht schon alles probiert. Sie hat sich zu den MitarbeiterInnen ins Großraumbüro gesetzt, war mit ihnen am Abend Bier trinken und hat sie aufgefordert, mehr Vertrauen zu haben. Trotzdem hat sich die Situation nicht verbessert, sondern verschlechtert.
Führungskräfte sind angewiesen auf das Vertrauen ihrer MitarbeiterInnen, damit sie über alle Vorgänge, Krisen und Konflikte informiert sind und bei Fehlern schnell reagieren können. Führungskräfte erwarten sich auch, dass ihren Aussagen geglaubt wird und ihre Aufträge ausgeführt werden. Auch dafür braucht es das Vertrauen der MitarbeiterInnen.
Manche Führungskräfte haben das Vertrauen verspielt, weil sie gelogen, betrogen oder manipuliert haben. Andere, weil sie MitarbeiterInnen beschämt, gemobbt oder ungerecht behandelt haben. Es gibt aber auch Situationen wie die von Sylvia. Sie hat nichts dergleichen gemacht und doch findet sie nicht den Zugang zu den MitarbeiterInnen. Sie kann in Zukunft zwei Irrtümer vermeiden, denen auch viele andere Führungskräfte aufsitzen:
Irrtum Nr. 1 – Vertrautheit führt zu Vertrauen
In Freundschaften und in der Familie ist es die Vertrautheit, die Vertrauen schafft. Man entdeckt Gemeinsamkeiten und kennt die Gewohnheiten der anderen Personen. Viele Führungskräfte versuchen daher, ihre MitarbeiterInnen möglichst gut kennenzulernen. Sie arbeiten eng mit Ihnen zusammen und versuchen, möglichst viel Zeit miteinander zu verbringen. Solange es keine Konflikte, Krisen oder starke Veränderung gibt, kann diese Vertrautheit ausreichende Basis für die Zusammenarbeit sein. Immer dann jedoch, wenn außergewöhnliche Dinge passieren, merken die Führungskräfte, wie das Misstrauen der Mitarbeiterinnen stark wächst, weil die MitarbeiterInnen die Erwartungen der Führungskraft, die aus den Anforderungen der Rolle kommen, nicht kennen. Sie sind entrüstet, wenn eine Führungskraft unbeliebte Maßnahmen setzt, weil ein Freund so etwas nicht tun würde.
Irrtum Nr. 2 – Vertraulichkeit führt zu Vertrauen
Manche Führungskräfte erzählen sehr offen über ihr Privatleben, Beziehungsprobleme und Krankheiten. Sie laden mit ihrem Verhalten ihre MitarbeiterInnen dazu ein, dasselbe zu tun. Alle schätzen das hohe Ausmaß an Vertraulichkeit und halten es für Vertrauen. Nur weil ich mit jemandem vertraulich über mein Privatleben gesprochen habe, weiß ich noch nicht, was diese Person in der beruflichen Rolle von mir erwartet und ob ich mich auf die Zusagen der Person verlassen kann. Auf diese Art gewonnenes Vertrauen gibt weder den Führungskräften noch den MitarbeiterInnen Halt. Ich gehe daher sogar noch einen Schritt weiter: Lassen Sie es nicht zu, dass ihnen alle privaten Geheimnisse erzählt werden. Es kann sehr belastend sein, das Fehlverhalten eines Mitarbeiters zu sanktionieren, wenn man alle Details über dessen Scheidung und dessen Schulden weiß.
Mitarbeitervertrauen gewinnen: Der tragfähige Weg
MitarbeiterInnen wollen wissen, was von ihnen erwartet wird. Sie wollen nicht nur wissen, wieviel und bis wann, sondern auch aus welchem Motiv, mit welcher Absicht, in welcher Qualität, für wen und um welche Ziele zu erreichen. Sie wollen wissen, wie sie mit einander widersprechenden Regeln umgehen sollen, was hinter einem wiederholten Richtungswechsel steckt und wie sie ihre Rolle gestalten sollen. Falls es Ihnen gelingt, tagtäglich in Wort und Tat möglichst oft Antworten auf diese Fragen zu geben, werden die MitarbeiterInnen Ihnen vertrauen. Sie vertrauen Ihnen, nicht weil Sie sympathisch sind, nicht weil Sie über gemeinsame Hobbys gesprochen haben, nicht weil sie viel Spaß miteinander gehabt haben, sondern weil die MitarbeiterInnen wissen, wie sie ihren Teil am Gesamtergebnis beitragen können. Das ist der erste Teil dieses Weges.
Der zweite Teil liegt im Zuhören und Verstehen der Bedürfnisse, Motive, Absichten und Erwartungen der MitarbeiterInnen. Es geht bei solchen Gesprächen aber weniger um den oben beschriebenen Versuch, Vertrautheit herzustellen, sondern darum die Einstellung des Mitarbeiters zu seiner Rolle und seinen Aufgaben zu kennen. Je besser Sie die aktuelle Situation der MitarbeiterInnen erfassen, desto leichter wird es für Sie, für die MitarbeiterInnen Sinn zu stiften, z.B. indem sie den MitarbeiterInnen passende Tätigkeiten zuweisen.
Mitarbeitervertrauen gewinnen: Anstrengend, aber lohnend
Wenn dieser Weg so erfolgversprechend ist, warum wird er dann nicht öfter gewählt? Weil Offenheit manchmal zunächst auch Unverständnis, Widerstand und sogar Misstrauen auslösen kann. Gerade MitarbeiterInnen, die einen besonders kollegialen, fast schon kumpelhaften Chef gewöhnt sind, fühlen sich durch die gelebten Rollenunterschiede zwischen Chef und MitarbeiterInnen vor den Kopf gestoßen. Sie werden unsicher, ob sie den Erwartungen entsprechen können, und werden in der Folge störrisch. In dieser Phase braucht es viele klärende Gespräche, geduldiges Zuhören, nachvollziehbares Feedback und gebetsmühlenartiges Wiederholen von den wichtigsten Botschaften.
Die Situation von Silvia ist daher ernst, aber keinesfalls hoffnungslos. Sie kann das Vertrauen der Mitarbeiterinnen noch immer erwerben, indem sie sich ganz auf ihre Rolle als Führungskraft konzentriert: Erwartungen aussprechen, Aufgaben verteilen, Ergebnisse kontrollieren, Feedback zur Leistung geben, Orientierung geben und Sinn stiften.