Führen in Teilzeit – Ist das möglich?
Andreas leitet ein Team von acht Software-EntwicklerInnen. Er hat die letzten Jahre im Schnitt 50 bis 60 Stunden pro Woche gearbeitet. Er möchte nun weniger als 25 Stunden pro Woche arbeiten, weil er auch Zeit für seine Kinder haben möchte. Kann er in Teilzeit ein Team genauso erfolgreich führen, wie zuvor in Vollzeit?
Viele Führungskräfte stellen sich diese Frage. Sehr oft wird sie jedoch sehr einseitig mit „Jedenfalls!“ oder „Keinesfalls! beantwortet. Dabei kommt es auf die Führungssituation an. Es gibt keine generelle Regel, aber eine Reihe von Aspekten, die dafür oder dagegen sprechen.
Aspekte, die für Führen in Teilzeit sprechen
Selbständige MitarbeiterInnen
Die Tätigkeit der MitarbeiterInnen von Andreas als Softwareentwickler kann sehr selbständig erbracht werden. In den meisten Fällen brauchen sie keine tägliche Abstimmung mit Andreas. Falls die MitarbeiterInnen auch tatsächlich gut eingearbeitet sind und eigenverantwortliche arbeiten, spricht daher nichts gegen Führung in Teilzeit. Die erste und wichtigste Frage ist daher: Können die MitarbeiterInnen die täglich anfallende Arbeit selbständig erledigen, auch wenn die Führungskraft einen Teil der Arbeitszeit weder anwesend noch erreichbar ist?
Reduktion operativer Aufgaben möglich
Das Ausmaß operativer Aufgaben bei Führungskräften ist sehr unterschiedlich, es kann von 10 bis 90 Prozent reichen. Die erste Frage ist also, ob es möglich ist, das Ausmaß der operativen Aufgaben zu reduzieren. Die zweite Frage ist, um wieviel. Hinter dieser Frage steckt nämlich eine Falle. Sehr oft wird bei einer Halbierung der Arbeitszeit das Ausmaß der bisherigen operativen Tätigkeit halbiert. Dies führt automatisch zu einer starken Überlastung der Führungskraft, weil der Aufwand für die Führungsarbeit und der Zeitaufwand für die Teilnahme an internen Besprechungen gleich bleibt. In den meisten Fällen wird Führung in Teilzeit nur dann möglich sein, wenn die Führungskraft die operative Tätigkeit ganz delegieren kann.
Unterstützung von ganz Oben
Der Erfolg von Führen in Teilzeit hängt sehr viel davon ab, ob die oberste Führungsebene diese Form der Führung nicht nur duldet, sondert fördert. Ob sie es fördert, hängt ganz stark davon ab, ob sie die Vorteile erkennt: Erfolgreiche Führungskräfte bleiben im Unternehmen; MitarbeiterInnen erlernen notwendigerweise, sich professionell zu koordinieren; Die Organisation wird als familienfreundliches Unternehmen für BewerberInnen attraktiv. Diese Vorteile zu erkennen, ist entscheidend, denn für die Vorgesetzten hat Teilzeit nämlich zunächst Nachteile: Die Führungskraft ist manchmal ad hoc nicht erreichbar, sie ist weniger einsetzbar für Projekte und sie bringt manchmal auch die Meeting Strukturen durcheinander.
Was gegen das Führen in Teilzeit spricht
Hohes Maß an Kontrolle notwendig
Manche Tätigkeiten verlangen ständige Kontrolle, entweder aus Gründen der Sicherheit oder weil die Arbeitsschritte inhaltlich genehmigt werden müssen. In diesem Fällen lässt sich Führung in Teilzeit kaum verwirklichen. Ständige Rückfragen können dazu führen, dass die Führungskraft zwar nur für Teilzeitarbeit bezahlt wird, aber tatsächlich Vollzeit arbeitet. Das wäre genau das Gegenteil des gewünschten Ergebnisses.
Ungünstige Meetingstruktur
In manchen Organisationen nehmen Führungskräfte wöchentlich an vielen internen Besprechungen teil. Bei diesen Meetings werden nicht nur Informationen ausgetauscht, sondern auch Entscheidungen getroffen und Abläufe geplant. Die Teilnehme ist für alle Führungskräfte verpflichtend. Leider beginnen manche der Meetings erst am späteren Nachmittag oder Abend. Für Teilzeit-Führungskräfte, die wegen der Kinder früher das Büro verlassen möchten, ist das ein fast unüberwindliches Hindernis.
Hinderliche Glaubenssätze
In manchen Organisationen wurde gut vorgesorgt, sodass Teilzeitarbeit grundsätzlich gut möglich ist – aber die Führungskräfte stehen sich selber im Weg. Die Führungskraft beginnt mit viele Freude und Engagement, doch schon nach wenigen Wochen bricht sie den Versuch völlig erschöpft ab. Sie hatte den inneren Glaubenssatz, dass sie die Arbeit von 50 Stunden in 25 schaffen kann. Sie ist nach wie vor für Fragen der MitarbeiterInnen immer erreichbar und hat bei Bedarf trotz reduzierter Arbeitszeit mehr gearbeitet. Zuviel Engagement ist manchmal das größte Hindernis für dieses Modell.
Unverzichtbare Fähigkeiten
Manche Führungskräfte haben ein besonderes Talent, Probleme zu lösen und Krisen zu bewältigen. Sie behalten den Überblick in chaotischen Momenten und finden kreative Lösungen, auf die sonst niemand gekommen wäre. Sie sind daher oft in Führungspositionen, die genau das verlangen. Solche Positionen lassen sich kaum in Teilzeit bewältigen. Krisen halten sich nicht an Zeitpläne, und gute Troubleshooter sind selten.
Führung in Teilzeit ist nicht für jede Tätigkeit, nicht in jeder Position, nicht in jeder Organisation geeignet. Ich kann Ihnen empfehlen, jede einzelne Führungssituation individuell zu prüfen. Falls viel dafür spricht und wenig dagegen, dann ist es einen Versuch wert!