In Zeiten einer nahenden Virusepidemie herrscht große Unsicherheit. Wie führen in der Krise? Konferenzen werden abgesagt, Messen storniert, die ersten Lieferschwierigkeiten treten auf, die Menschen bekommen Angst vor der Krankheit. Was können Sie als Führungskraft tun, um Ihre Organisationseinheit gut auf das Unvorhersehbare vorzubereiten? Sie können nicht wissen was kommen wird, aber Sie können vieles tun, um die Schwierigkeiten besser zu bewältigen.
Menschen neigen bei herannahenden Krisen zu zwei extremen Reaktionen
Entweder sie steigern sich in Katastrophenvorstellungen oder sie stecken den Kopf in den Sand und bestreiten jegliche Gefahr. Gerade in Besprechungen und Workshops kann es sogar passieren, dass Menschen zwischen den beiden Extremen hin und her pendeln. Sie als Führungskraft haben die Aufgabe, den Menschen wieder Bodenhaftung zu geben. Möglicherweise sind Sie es gewohnt, Ihren MitarbeiterInnen Sicherheit zu geben, indem Sie aufmunternde Worte sprechen und Pläne entwickeln. Das können Sie in diesem Fall nicht, weil niemand weiß was kommen wird.
Führen in der Krise: Zuerst Schritt eins und zwei, dann Schritt drei
Wenn Krisen herannahen, dann wollen viele Menschen ganz schnell Maßnahmen setzen: Die Teilnahme an der Messe wird abgesagt, die Dienstreisen werden storniert und die ersten Sparmaßnahmen gesetzt. Es fehlen jedoch zwei Schritte davor:
1. ein Szenario entwickeln, also ein gemeinsames Bild davon, was passieren könnte,
2. und die Auswirkungen des Szenarios auf die Organisation überlegen.
Erst dann ist es sinnvoll, in einem 3. Schritt über sinnvolle Maßnahmen nachzudenken. Es braucht ein gemeinsames Bild, um zu verhindern, dass beteiligte Personen unterschiedliche, vielleicht sogar einander widersprechende Maßnahmen setzen. Was Sie als „gemeinsam“ verstehen, hängt von der Größe und Art der Organisation ab: nur die obersten Führungskräfte oder aber Sie mit allen MitarbeiterInnen Ihrer Abteilung.
Schritt 1: Wie könnte unsere Zukunft aussehen?
Bereiten Sie die Menschen und ihre Organisationseinheit auf mehrere unterschiedliche Szenarien vor. Szenarien sind mögliche Formen der Zukunft, die grob skizziert Anhaltspunkte dafür geben, was heute zu tun ist, um morgen gut vorbereitet zu sein. Im Falle der Coronavirusepidemie können das diese Szenarien sein:
1. Leichte Beeinträchtigungen des Reiseverkehrs, Verzögerungen bei Lieferungen, einige wenige isolierte Erkrankungen im Land, MitarbeiterInnen nicht unmittelbar betroffen, leichter Rückgang bei der Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen
2. Starke Reisebeschränkungen auch innerhalb des Landes, Quarantäne über einzelne Ortschaften und Städte, Personalausfall durch Quarantänemaßnahmen, starke Beeinträchtigung des Warenverkehrs, mehre Hundert Erkrankungen im Land, Absage von großen Veranstaltungen
3. Alle Merkmale von Punkt 2 und zusätzlich noch: Schließung von Schulen und Universitäten, Absage aller Veranstaltungen, Verbot von Reisen, Erkrankungen in der eigenen Organisation, teilweise Schließung der Organisation oder Teilen davon
4. Alle Merkmale von Punkt 2 und 3 und zusätzlich noch: langwierige Erkrankungen und Todesfälle in der eigenen Organisation, Stillstand des öffentlichen Lebens.
Schritt 2: Wie können sich die Szenarien auf uns auswirken?
Sobald Sie mögliche Szenarien erstellt haben, können Sie in einer Besprechung oder einem Workshop für jedes einzelne Szenario die Auswirkungen auf die Menschen, den Geschäftsbetrieb, die Stimmung und die Zukunft der Organisation beschreiben. Diese Arbeit erfordert hartnäckige und zugleich gefühlvolle Führung. Ich habe mehrere Projektgruppen eines internationalen Pharmaunternehmens bei der Vorbereitung von Pandemieplänen moderiert. Meine Erfahrung war, dass manche Gruppen dazu neigen, bei der Beschreibung der Auswirkungen so sehr an der Oberfläche zu bleiben, dass keine wirksamen Maßnahmen abgeleitet werden konnten. Bei Szenario 2 sollten Sie zum Beispiel ganz konkret durchspielen, welche Prozesse wie beeinträchtigt sind, wenn einzelne Mitarbeitergruppen fehlen. Bei Szenario 3 und 4 sollten sie darüber sprechen, wie wer konkret Zugang zu IT-Systemen, Sicherheitseinrichtungen, Gebäuden etc. hat, um weitere Schäden verhindern zu können.
Sie können die Katastrophe nicht planen. Erliegen Sie daher nicht der Machbarkeitsfantasie. Versuchen Sie nicht, Maßnahmenpläne zu erstellen, die Listen enthalten, was später wann zu tun. Das volle Ausmaß der Reaktorkatastrophe in Fukushima beispielsweise hätte verhindert werden können, wenn es die privaten Handynummern der MitarbeiterInnen auf Papier gegeben hätte. Niemand hatte bei der Vorbereitung der Notfallpläne daran gedacht, dass bei einem kompletten Stromausfall die MitarbeiterInnen per Telefon nicht erreichbar sind und die Handynummern auf den nicht funktionierenden Computersystemen nicht abrufbar sind. Seien Sie daher sorgfältig, konkret und spezifisch, wenn Sie über die Auswirkungen der Szenarien auf den Geschäftsbetrieb sprechen.
Schritt 3: Welche Maßnahmen können wir setzen?
Die wichtigste Frage für die Vorbereitung der Maßnahmen lautet daher: Was können wir heute tun, damit die Auswirkungen der einzelnen Szenarien uns im Falle eines Falles nicht so hart treffen? Welche Maßnahmen sinnvoll sind, hängt von Art und Größe Ihrer Organisation ab. Denken Sie an die großen Entscheidungen wie Einsparungen, Rücklagen, Information an KundInnen und LieferantInnen, aber auch die vielen kleinen Maßnahmen, die einen großen Unterschied machen können, wie zum Beispiel:
- Berechtigungen zu Computeranwendungen an einen größeren Personenkreis
- Intensivere wechselseitige Information über Projektfortschritte und Arbeitsgebiete
- Laufwerke für andere nachvollziehbar organisieren
- Schlüssel zum Safe an mehr als eine Person
- Laptop immer auf Reisen mitnehmen
Führen in der Krise: Gespenster verscheuchen
Durch diese intensive Auseinandersetzung mit den Szenarien, deren Auswirkungen und den Maßnahmen können Sie möglichen Schaden begrenzen und zugleich die Angst der MitarbeiterInnen verringern. Die Szenarien werden nicht genau in der Form eintreten wie sie hier formuliert sind, daher bleiben Sie flexibel und passen Sie sie den Entwicklungen an. Denken Sie nicht nur an mögliche Maßnahmen zur Reaktion auf die Krise, sondern auch daran wie Sie die Organisation wieder hochfahren und zum Normalzustand zurückkehren können.